Richtig lernen: Sprachkurs oder Einzelunterricht?

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Lernapps? Netflix? Sprachkurs? Einzelunterricht? – Die Frage nach der richtigen Lernform stellt sich beim Erlernen einer Sprache immer wieder aufs Neue: das liegt zum einen an der Länge des Prozesses (mindestens ein bis drei Jahre), zum anderen aber auch an den sich verändernden Ansprüchen. Am Anfang steht der Wunsch, einfach nur in einer Sprache reden zu können. Später möchte man sich dann an komplexeren Diskussionen beteiligen und schließlich die Sprache relativ fehlerfrei mündlich und auch schriftlich beherrschen. Es ist offensichtlich, dass zu diesen Zielen verschiedene Wege führen: jede(r) Lernende ist ein anderer Lerntyp und hat andere Prioritäten, Interessen, Talente und finanzielle Möglichkeiten.     

Die große Herausforderung ist es nun, diesen Lernprozess abwechslungsreich und den eigenen Interessen gemäß zu gestalten. Wichtig dabei ist auch, ein realistisches Lernprojekt zu verfolgen und sich keine Illusionen zu machen über die eigenen Ziele, zeitliche Möglichkeiten und die Motivation.

Eine der wichtigsten Fragen steht dabei ganz am Anfang:  kann ich mich wirklich über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Jahr!) für diese Sprache begeistern und kontinuierlich Zeit, d.h. mindestens 3-4 Stunden pro Woche, investieren?

Gerade auf höheren Niveaus erkennt man oft die eigenen Fortschritte kaum, was einen sehr negativen Effekt auf die Motivation haben kann. Bei manchen Lernenden führt das zu einer Art Jojo-Effekt: man möchte sich verbessern und schreibt sich für einen 2-monatigen Gruppenkurs ein, hat aber nach dem Kurs nicht wirklich das Gefühl, besser geworden zu sein. Also gibt man erstmal auf und fängt ein paar Monate später wieder von Neuem an. Meistens dann genau auf dem Niveau, auf dem man VOR dem letzten Kurs war: willkommen im Fremdsprachen-Hamsterrad!

Um das zu verhindern, muss man ein passendes Kursformat finden, das die Lust am Sprachenlernen fördert. Denn nur ein hohes Maß an Motivation in Verbindung mit Disziplin garantiert, dass man nicht nach ein paar Wochen stagniert und schließlich resigniert aufgibt.

Je nach Kursformat hat man aber vielleicht auf die eigene Motivation nicht allein Einfluss. In Gruppenkursen gilt leider: je größer die Gruppe, desto weniger kann der einzelne Schüler bestimmen, was passiert. Das hat einen Effekt auf die Motivation. Man verbringt kaum Zeit allein mit der Lehrkraft und lernt sie nicht wirklich kennen. Auch kann sie den Unterricht und die Materialen praktisch nicht an einzelne Wünsche und Bedürfnisse anpassen, sondern folgt meist nur einem Curriculum, das für alle gleich ist.

Angesichts dieser offensichtlichen Nachteile von Gruppenkursen sollten mehr Lernende über Einzel- oder Kleingruppen-Unterricht nachdenken. Die meisten glauben fälschlicherweise, dass diese viel teurer seien, da man ja für das gleiche Geld viel weniger Zeit in einem Kurs verbringt. Doch im Endeffekt muss guter Einzelunterricht keinesfalls teurer sein, braucht man doch viel weniger Stunden und sieht dennoch schneller Ergebnisse.     

In die folgende Checkliste sind zahlreiche Unterhaltungen mit Lernenden in unterschiedlichen Kursformaten eingeflossen. Die einzelnen Punkte sollen dir dabei helfen, die richtigen Fragen zu stellen, um dich und dein Lernprojekt besser zu verstehen und die beste Lösung für dich zu finden.

Wenn mehrere der folgenden Punkte auf dich zutreffen, ist Gruppenunterricht wahrscheinlich die bessere Option:

  1. Ich habe ein A-Niveau (Anfänger).

  2. Ich bin eher extrovertiert und möchte viel reden und kommunizieren.

  3. Ich habe außerhalb des Sprachkurses keine Gelegenheit mit Leuten zu sprechen, weil ich keine Zeit dafür habe und/oder weil mein Niveau dafür zu niedrig ist.

  4. Für mich ist ein Sprachkurs eine Gelegenheit, andere Menschen kennen zu lernen (weil ich z.B. neu in einer Stadt bin). 

  5. Ich lerne besser in einer Gruppe.

  6. Ich lasse mir gerne Grammatikthemen erklären und trainiere diese Grammatik dann in einem geschützten Raum.

  7. Ich bin nicht sehr diszipliniert und habe manchmal Probleme, mich alleine zu Hause zu konzentrieren und zu motivieren.  

  8. Ich arbeite lieber mehrere Stunden auf 60% Intensität als eine Stunde auf 100%.

Wenn mehrere der folgenden Punkte auf dich zutreffen, ist Einzelunterricht wahrscheinlich die bessere Option:

  1. Ich habe ein B- oder C-Niveau.

  2. Ich habe konkrete Ziele und eine genaue Vorstellung davon, was ich lernen möchte.

  3. Ich bin sehr motiviert, aber ich kann bzw. will wöchentlich nicht mehr als 1 bis 2 Stunden fest für Sprachunterricht verplanen, sondern möchte flexibel bleiben

  4. Ich lerne allein besser und effektiver.  

  5. Ich bin eher introvertiert und ein bisschen schüchtern und es stört mich, vor anderen Menschen Fehler zu machen.

  6. Ich lebe schon lange in dem Land, dessen Sprache ich lernen will, und kann mich zwar mündlich gut ausdrücken und verstehe sehr viel, in den Bereichen Grammatik und Schreiben bin ich aber deutlich unter meinem mündlichen Niveau. 

  7. Ich will gezielt mein Schreiben verbessern: Emails, innerbetriebliche Kommunikation, wissenschaftliche Texte, kreatives Schreiben.

  8. Ich möchte mich gezielt auf eine Prüfung vorbereiten (Goethe, Telc, TestDaF).      

  9. Ich habe ganz konkrete Grammatikprobleme, die ich angehen möchte.

  10. Ich lerne gern allein Grammatik, brauche aber gelegentlich jemanden, der mich unterstützt.

  11. Ich will an meiner Aussprache arbeiten.

  12. Ich lerne die Sprache hauptsächlich für die Arbeit und möchte deshalb vor allem ein spezielles Thema bearbeiten (z.B. Architektur, Tourismus, Medizin etc.).

  13. Ich lese sehr gerne, weiß aber nicht, wie und wo ich passende und interessante Texte auf meinem Niveau finden kann (Tipps dafür findest du aber auch hier).

Solltest du nach Durchsicht der Checkliste zu der Überzeugung gekommen sein, dass Einzelunterricht für dich eine echte Option ist, stellt sich jetzt natürlich die Frage: wie finde ich eine für mich geeignete Lehrkraft und woran erkenne ich deren Qualität? Zwar hat diese Unterrichtsform viele Vorteile, sie steht und fällt aber mit der Lehrkraft. Glücklicherweise kannst du sehr schnell bemerken, ob ihr zusammenpasst – du musst nur wissen, worauf du achten solltest.   

Vielleicht hilft es hier, das Bild des klassischen Sprachlehrers zu vergessen, mit dem du einfach nur redest. Stattdessen solltest du an einen personal trainer denken. Wie im Fitnessstudio auch muss dieser nicht bei jeder Einheit dabei sein. Er/sie erstellt dir vielmehr einen individuellen Übungsplan zeigt dir die richtigen Techniken und motiviert dich durch gute Ratschläge. Und allein schon einen Trainer zu haben, dem du dich gegenüber verantwortlich fühlst, wird dafür sorgen, dass du dich mehr anstrengst und konzentrierter lernst.     

Um später nicht enttäuscht zu werden, solltest du anfangs auf folgende Dinge achten:  

Erfahrung
Die Lehrkraft hat selbst schon erfolgreich Fremdsprachen gelernt und kennt deshalb die diversen Phasen und Schwierigkeiten, die dich bei deinem langen Lernprozess erwarten. Außerdem unterrichtet sie die Sprache schon lange und kennt typische Probleme.

Gegenseitige Sympathie
Die Lehrkraft ist ein zentraler Teil deines Lernprojekts. Du musst ihn/sie als Freund und Helfer sehen. Schließlich werdet ihr auch über private Dinge sprechen. Wenn du der Lehrkraft nicht vertraust oder nicht magst: such dir schnell jemand anderen!

Empathie
Die Lehrkraft versteht dein individuelles Lernprojekt und hat dafür Materialen und Ideen. Sie versteht es, auf deine Persönlichkeit einzugehen und passt ihren Unterrichtsstil, ihre Fehlerkorrektur sowie ihr Lob- und Kritikverhalten daran an. Außerdem sorgt sie durch eine individuell angepasste, kontinuierliche Niveausteigerung für die richtige – das heißt motivierende – Mischung von Erfolgserlebnissen und Herausforderungen.

Umfangreiche Ressourcensammlung
Beim Einzelunterricht entfällt ein Großteil der Lernarbeit auf die Zeit zwischen den einzelnen Einheiten. Genau in diesen Phasen entscheidet sich, ob du die Sprache lernen wirst oder nicht. Nur wenn die Lehrkraft es schafft, dich für diese Zeit mit qualitativ hochwertigen und für dich relevanten Materialen zu versorgen, wirst du dich damit beschäftigen. Auch sollten diese Materialen speziell auf dich zugeschnitten und eine bunte Mischung sein: Grammatik- und Wortschatzübungen, abwechslungsreiche Lesetexte, Film- und Serienvorschläge, inspirierende Schreibaufgaben, sowie Wortschatzlisten und Prüfungstrainingsmaterialen.

Eine gute Lehrkraft erkennst du zuletzt auch daran, dass sie im Unterricht nicht so viel redet, sondern dir genau zuhört. Sie verbringt nämlich einen Großteil des Unterrichts damit, dein Lernprojekt für die Zeit ohne sie vorzubereiten. Das heißt, es werden vor allem deine Lernfortschritte überprüft, Fragen und Probleme besprochen und gemeinsam überlegt, wie und was du weiter lernen kannst. 

Allerdings ist es, vor allem auf niedrigeren Niveaus, oft sehr anstrengend 1 – 1.5 Stunden alleine mit einer Lehrkraft zu trainieren. Deshalb kann Unterricht zu dritt eine gute Alternative sein. Beide Lernende können immer noch viel sprechen und eine individuelle Beratung ist weiterhin ohne Probleme möglich. Gleichzeitig wird der Unterricht dadurch deutlich dynamischer, der Preis sinkt und zwischen den beiden Lernenden entsteht oft eine konstruktive und motivierende Konkurrenzsituation: wer lernt mehr, wer lernt schneller? Kurz: Eine win-win-win-Situation!

Ideal dafür ist eine Person, die ein ähnliches Sprachniveau hat wie du. Und wenn du niemanden hast, auf den das zutrifft, frag einfach die Lehrkraft deiner Wahl, ob er/sie dich mit anderen Lernenden in Verbindung bringen kann.    

Solltest du zu diesem Artikel oder zu deinem eigenen Lernprojekt Fragen haben, kannst du mich sehr gerne kontaktieren. Ich berate und begleite Deutschlernende schon seit über 15 Jahren und bin mir sicher, dass wir auch für dich die perfekte Lösung finden werden!

Ingo SchoenleberComment