Richtig schreiben: verständlich ist mehr als nur korrekt

Ist es wirklich so schwierig, auf Deutsch gute Texte zu schreiben? Ich würde ganz klar sagen: nein. Wir DaF-Lehrer*innen müssen einfach nur beginnen, die Erkenntnisse der Verständlichkeitsforschung auch auf das Schreiben im Unterricht anzuwenden. Wenn das gelingt, gewinnen alle. Die Lernenden, weil sie endlich verstehen, worauf es bei guten Texten wirklich ankommt. Und die Lehrkräfte, weil wir klare, verständliche und interessantere Texte zum Korrigieren bekommen.   

Ab Niveau B2 haben Deutschlernende eigentlich alle Werkzeuge, um sich schriftlich sauber und verständlich auszudrücken. Warum schaffen das aber nur wenige? Meiner Meinung nach hat das mindestens vier Gründe. 

  1. Die Schüler*innen lesen nicht genug.
    Im modernen DaF-Unterricht liegt der Schwerpunkt auf mündlicher Kommunikation. Wir DaF-Lehrer*innen machen uns deshalb lieber Gedanken über Redeanlässe für den Unterricht, als darüber, was unsere Schüler nach dem Unterricht lesen können. (Ideen dafür gibt es übrigens hier und hier). Oft fehlt es daher an einem kontinuierlichen und quantitativ ausreichenden Input in geschriebener Sprache. Da stellt sich natürlich die Frage: wie sollen die Lernenden etwas korrekt reproduzieren, das sie kaum kennen?
       

  2. Die Schüler*innen können meistens auch in ihrer Muttersprache nicht gut schreiben.   
    Einer der größten Mythen unter Sprachlernenden höherer Niveaus ist, dass sie perfekte Texte schreiben würden, wenn sie nur besser Deutsch könnten. Dabei verwechseln sie korrekt mit gut verständlich und lesenswert. Und nur den wenigsten ist bewusst, dass ihre Probleme beim Schreiben auf Deutsch etwas mit ihren allgemeinen Problemen beim Schreiben zu tun haben.  
      

  3. DaF-Lehrer*innen sind unsicher, wie man Schreiben sinnvoll unterrichtet. 
    Die wenigsten von uns wagen es, sich ernsthaft mit dem Thema Schreiben im Unterricht zu beschäftigen. Wir haben nicht einfach nur Angst vor der zeitfressenden Korrekturarbeit, sondern – viel schlimmer noch – nagende Zweifel an der Effektivität unserer Korrekturen (ein paar Ideen dazu hier). Deshalb geben wir unseren Schülern hin und wieder eine uninspirierte Schreibaufgabe (muss ja prüfungsrelevant sein!) und korrigieren dann pflichtbewusst Wortschatz und Strukturen. Damit verkommt Schreiben aber lediglich zu einer weiteren Art von Grammatik- und Vokabeltest. Eine Rolle, die dem schriftlichen Ausdruck leider auch genauso in Sprachprüfungen zukommt. Verständlichkeit ist dort nur eine Kategorie, die der Korrektheit untergeordnet ist. Wer also einen korrekten Text schreibt, so das Missverständnis, das sich durch den gesamten Sprachlernsektor zieht, schreibt einen verständlichen Text.

  4. Wenn Schreiben unterrichtet wird, vergessen wir einen wichtigen Punkt: Verständlichkeit.
    Wir glauben, Verständlichkeit kommt von alleine, wenn die Schüler*innen keine Grammatik- und Wortschatzfehler mehr machen. Also „helfen“ wir ihnen dabei und versorgen sie mit komplizierten Nomen-Verb-Verbindungen, Partizipialsätzen, Nominalisierungen und – das ultimative Mittel gegen Lebendigkeit! – dem Passiv in 6 Zeitformen.     
    Dass wir Lehrkräfte damit fleißig unser eigenes Dilemma befeuern, ist uns nicht wirklich bewusst. Denn letztlich signalisieren wir unseren Schüler*innen, dass sie diese komplizierten und oft unnötigen Konstruktionen doch auch bitte einsetzen. Im Zusammenspiel mit dem weit verbreiteten Mythos, dass ein guter deutscher Satz lang zu sein habe, entstehen dann echte Frankensteintexte. Wenn dann auch noch Wortschatz-, Satzbau- und Flexionsfehler dazu kommen, versteht garantiert niemand mehr etwas. Hier ein Beispiel aus einem C1 Kurs: 

    “In Anbetracht eine kontinuierlichen Veränderung der durchschnittlichen Meinung, diskutieren Fach- und Lehrkräfte und besorgten Eltern immer mehr über die Nützlichkeit, Sport als Pflichtfach an Schulen beizubehalten. Zahlreich sind die Vor- und Nachteile einer solchen bedeutungsschweren Entscheidung, durch die das Leben und die psychophysischen Zustände der Schüler direkt beeinflusst werden: erstens muss berücksichtigt werden, dass Sport als Fach abzuschaffen, mehr Zeit für andere Fächer, für die ein unmittelbaren Lerninteresse der Schüler besteht, bedeuten würde. Sich auf dieser Sachverhalt beziehend, behaupten viele Wissenschaftler aber ebenfalls, dass Bewegung entscheidend für die Leistungsfähigkeit der Schüler wäre, und tatsächlich hilft körperliche Aktivität vor allem nach einer schweren Prüfung bei der langfristigen Konzentration auf unterschiedlichste Lernaktivitäten.”

Dieser Text schafft zwar das kleine Wunder, 111 Wörter in 3 Sätzen unterzubringen, wirklich verständlich oder gar interessant ist er aber leider nicht. Trotzdem würde der Autor damit jede C1 Schreibprüfung cum laude bestehen: Er ist auf das Thema eingegangen, seine Ausdrucksfähigkeit ist sehr gut und bis auf wenige Ausnahmen ist der Text völlig korrekt. Punktabzug würde es lediglich im Bereich Textaufbau/Kohärenz geben. Aber dieser Makel könnte leicht mit ein paar Konnektoren und Absätzen kaschiert werden – ohne natürlich das Grundproblem dieser Komposition zu beseitigen.  

Während für Sprachlehrer*innen dies nun Anlass wäre, diesem Schüler zu gratulieren, würden ihn Kommunikationswissenschaftler und Schreibcoachs aber zum Nachsitzen bitten. Seit den 70er Jahren forschen Psychologen der Universität Hamburg daran, was einen gut verständlichen Text ausmacht. Dieses Hamburger Verständlichkeitsmodell ist seit vielen Jahren in Deutschland etabliert und zählt vier Grundmerkmale von Verständlichkeit.

  • Einfachheit: der Autor benutzt geläufiges und konkretes Vokabular; die Sätze sind kurz und einfach strukturiert. 

  • Gliederung/Ordnung: der Text ist inhaltlich und optisch klar gegliedert; die Argumente bauen logisch aufeinander auf und sind sprachlich sinnvoll miteinander verknüpft.

  • Kürze/Prägnanz: der Autor sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Zu knapp darf der Text aber auch nicht sein, um eine Übersimplifizierung der Argumentation zu vermeiden. Ein wenig „erwünschte Redundanz" muss sein!

  • Anregende Zusätze: das sind kleine Extras, die mit der eigentlichen Kernaussage des Textes nichts zu tun haben. Das können lebensnahe Beispiele, Wortspiele, kurze Anekdoten und unterhaltsame Formulierungen sein – sprich alles, was die Lust am Lesen fördert.    

 Für den Fremdsprachunterricht braucht es hier natürlich noch eine fünfte Kategorie, die im Hamburger Model als gegeben vorausgesetzt wird:  

  • Korrektheit: Der Text weist keine bzw. wenig Fehler in den Bereichen Syntax, Morphologie, Orthografie und Interpunktion auf; das verwendete Vokabular ist angemessen und wird korrekt benutzt.   

Jedes Merkmal der Verständlichkeit wird auf einer 5-stufigen Skala von +2 bis -2 beurteilt. Gut verständliche Texte bewegen sich demnach in folgenden, rot gekennzeichneten Bereichen dieser Skala:

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Ein optimaler Text ist also:

  • sprachlich sehr einfach und anschaulich

  • sehr gut gegliedert und logisch aufgebaut

  • eher kurz und prägnant

  • mit einigen wohl dosierten Zusätzen ausgestattet, die für Lesespaß sorgen

  • sprachlich und grammatikalisch korrekt                

Wenn wir jetzt wieder an unseren Frankensteintext zurückdenken, fällt auf, dass dieser nur eines dieser Kriterien – nämlich Korrektheit – erfüllt. In allen anderen Kategorien bekommt er -1 oder -2.    

Ich bin fest davon überzeugt, dass es der Instinkt jedes Schreibenden ist, sich klar und verständlich auszudrücken. Warum also verlieren viele Sprachschüler*innen das aus dem Blick? Hier ein paar mögliche Gründe dafür:  

  • Sie möchten gedankliche Leere hinter komplizierten Formulierungen verstecken.  

  • Sie möchten die Lehrkraft mit Komplexität beeindrucken und von den eigenen Fähigkeiten überzeugen.  

  • Sie glauben, dass sie die im Sprachkurs erlernten komplizierten Strukturen auch anwenden müssen, weil man auf Deutsch so schreibt.

  • Sie möchten Neues ausprobieren und „missbrauchen“ die Lehrkraft als Versuchskaninchen.

  • Sie schreiben einfach drauf los und denken überhaupt nicht an mögliche Leser. Schreiben dient hier nur der Materialisierung von Gedanken. Die Weitergabe des Produzierten wird nicht bedacht.

  • Sie wissen einfach nicht, wie man sich verständlich ausdrückt – sie haben es nämlich nie gelernt.

Schreiben in einer Fremdsprache ist oft eine zutiefst selbstbezogene Aktivität, da sie uns auf mehreren Ebenen fordert. Man muss sich nämlich nicht nur auf den Inhalt konzentrieren, sondern – da es nicht die Muttersprache ist – auch vermehrt auf Satzbau, Wortwahl und Flexion. Bei den meisten Schülern führt das dazu, dass für die wichtigste Regel schriftlicher Kommunikation einfach keine Kapazitäten frei ist: nämlich an die Leser zu denken!

Einer aber muss sich mit dem Text quälen. Entweder der Leser, oder aber – deutlich besser – der Autor. Dieser hat ja schließlich ein Interesse daran, den Lesern etwas mitzuteilen. Quälen heißt hier: zuerst klare Gedanken formulieren, bevor man sie aufschreibt. Und im zweiten Schritt für diese Gedanken eine Sprache finden, die leicht zu verstehen ist. Was der Philosoph Karl Popper als Leitsatz für die Wissenschaft formuliert hat, taugt ohne Zusatz für alle Texte: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“

Damit Schüler*innen dies auch im Sprachunterricht tun, müssen wir ihnen klar machen, dass klar schreiben Priorität hat – und ihnen zeigen, wie das geht. Prinzipiell muss man sich dazu nur an folgende 5 Regeln halten:

  1. Text und Ideen klar gliedern

  2. Sätze übersichtlich konstruieren

  3. Leicht verständliches Vokabular benutzen

  4. Überflüssiges streichen

  5. Lebendig schreiben  

Was das konkret bedeutet und worauf man im Einzelnen achten muss, dazu mehr hier. Und Literaturtipps zum Thema “verständliches Schreiben” findet ihr hier bzw. unter dem Video.

Wenn man nun mit diesem goldenen Rezept unseren Frankensteintext küsst, wird daraus folgender Prinz:

“Sport ist Mord – das sagte schon Winston Churchill. Heißt das nun, wer den Sportunterricht als Pflichtfach beibehalten möchte, riskiert das Leben unserer Kinder?

Es ist offensichtlich, dass Sport einen Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Schüler, die sich regelmäßig bewegen, sind sowohl körperlich wie geistig stärker. Außerdem hilft Sport bei der Konzentration. Wissenschaftler haben gezeigt, dass körperliche Aktivitäten nach Prüfungen die mentale Regeneration fördern. Sport macht also leistungsfähiger.

Auf der anderen Seite stimmt es natürlich, dass diese Zeit an anderer Stelle fehlt. Der Schulsport könnte durch Fächer ersetzt werden, die für Schüler wirklich interessant sind.     

Aber was hilft diese extra Zeit für andere Fächer, wenn die Konzentration weg ist? Winston Churchill lag falsch. Sport ist kein Mord, sondern macht Kinder zu besseren Schülern. Es gilt nämlich: ohne Schweiß kein Preis.”

Diese Variante ist genauso lang wie der Originaltext und folgt der gleichen Argumentation. Trotzdem ist er viel einfacher zu lesen, unterhaltsamer und scheint sogar mehr Inhalt zu haben. Genau das passiert nämlich, wenn man verständlich schreibt: man sagt mehr mit weniger!    

Im folgenden Video zeige ich euch, wie das geht…

Es gibt viele Stil- und Schreibratgeber; die meisten sind aber für den DaF-Bereich nur sehr eingeschränkt nutzbar. Deshalb stelle ich hier kurz ein Buch vor, das mir persönlich sehr geholfen hat.

”Perfekt schreiben” von Markus Reiter und Steffen Sommer kann ich allen ans Herz legen, die auf Deutsch schreiben. Egal ob DaF-Lehrkräfte, Sprachschüler*innen oder auch Deutsche, die ihr Schreiben verbessern wollen. Hier kann jeder etwas dazu lernen. Die Autoren, zwei Schreibcoachs, erklären ganz konkret, wie jeder bessere Texte schreiben kann. Besonders die ersten 3 Kapitel sind auch für den Sprachunterricht relevant und deshalb Standardlektüre in meinen Schreibkursen. Vor allem das Kapitel “So schreiben Sie Klardeutsch” ist voller guter Tipps und sagt genau, welche Fehler man vermeiden sollte - und was stattdessen zu tun ist. Da das gesamte Buch in einem sehr klaren und einfachen Deutsch geschrieben ist, können es Lernende schon ab Niveau B2 mit Gewinn lesen.

Wenn du das Buch auf Amazon kaufen möchtest: Perfekt schreiben. Aktuell steht dort “Englisch Ausgabe” - das ist ein Fehler, das Buch gibt es nur auf Deutsch.
(dort kannst du dir auch verschiedene Teile des Buchs anschauen, wenn du auf das Cover klickst)

Perfekt schreiben (2013)

Markus Reiter / Steffen Sommer