Der Teufelskreis des Sprachwechsels
Eddy liebt Kaffee. Aber er hasst es, ihn zu bestellen.
Fast jedes Mal, wenn er in Berlin ein Café betritt, verlässt er es genervt und irritiert. Aber nicht, weil der Kaffee nicht gut wäre. Sondern weil der Typ hinterm Tresen ihm nicht das gibt, was er will.
„These arrogant Ba...ristas“, erzählte er mir genervt. Die antworten mir immer auf Englisch. Sie wollen mir einfach nicht helfen, Deutsch zu lernen!
Wahrscheinlich kommt dir diese Situation bekannt vor. Du bist in ein anderes Land gezogen, vielleicht in dessen Hauptstadt oder eine andere Großstadt, und du bemühst dich, die Sprache zu lernen. Und da du noch nicht viele Leute kennst, willst du deine Sprachkenntnisse mit Menschen üben, denen du im Alltag begegnest: Nachbarn, Taxifahrer, Sprechstundenhilfen – und eben gutmütigen Baristas.
Diese Strategie könnte sich jedoch wesentlicher problematischer für deinen Lernprozess sein, als dir wahrscheinlich klar ist.
Eddy, sagte ich, nachdem ich mir seine Geschichte ganz angehört hatte, könnte es sein, dass es dir an Resilienz fehlt, um in Berlin einen Kaffee zu bestellen?
Er schaute mich völlig ungläubig an. Nicht genug Resilienz, ich?
Dann fing er an zu lachen. Es lachte wie jemand, der mehr als einmal dem Tod ins Auge geblickt und Stärke und Entschlossenheit in Situationen bewiesen hatte, die weitaus schwieriger waren als Deutsch zu lernen – oder einen Kaffee zu bestellen.
Bevor er nach Berlin kam, um hier sein Medizinstudium fortzusetzen, war er mit der US-Armee in Afghanistan gewesen. Er hatte dort in einer Einheit gedient, die verletzte Soldaten direkt aus dem Gefechtsfeld evakuiert. Er war fast 2 Meter groß, wog gut 100 Kilo, und das letzte Mal, dass er Körperfett hatte, muss vor dem Kindergarten gewesen sein. Er hatte Leben gerettet, und Kameraden waren unter seinen Händen gestorben. Dennoch hatte er deswegen nie psychische Probleme gehabt. Er hielt sich für äußerst robust.
Das Erlernen einer Fremdsprache erfordert eine andere Art von Resilienz, sagte ich ihm. Nicht die, die man beim Militär entwickelt. Sieh dich doch mal an: viele deiner Kontakte mit den Leuten hier in Berlin enden in Frustration. Wenn du weiterhin so viele negative Erfahrungen machst, wirst du irgendwann mit niemandem mehr reden wollen.
Behalte deine Motivation durch die Erzeugung positiver Emotionen – und die Vermeidung negativer!
Eine Sprache ist nicht nur eine Fertigkeit oder ein Werkzeug, mit dem wir bekommen, was wir wollen. Sie ist der Schlüssel zu einer anderen Kultur. Und um wirklich dazuzugehören, müssen wir auch dazugehören wollen. Daher sollten wir uns nicht ausschließlich auf unsere Fertigkeiten konzentrieren, sondern auch auf unser psychisches Wohlbefinden achten. Denn das bestimmt maßgeblich über die Aufrechterhaltung unserer Motivation.
Eine Fremdsprache zu lernen und sich im Ausland zu Hause zu fühlen, ist kein Sprint. Der Gewinner ist nicht derjenige, der in kürzester Zeit das meiste auswendig lernt. Sondern vielmehr derjenige, der die anfängliche Neugier und Offenheit aufrechterhalten kann, die es braucht, um kontinuierlich positive Erfahrungen in der fremden Kultur zu machen.
Im Deutschen nennen wir diese Fähigkeit Sitzfleisch.
Sitzfleisch zu haben bedeutet, Ausdauer zu besitzen und etwas Langes, Anstrengendes durchhalten zu können. Das Erlernen einer Fremdsprache ist voller Höhen und Tiefen. Manchmal fühlt man sich unfähig und von anderen zurückgewiesen. Und manchmal, viel seltener leider, fühlt man sich wie der König des neuen Landes, mit einem schwarzen Gürtel in seiner Sprache. Beides – Überschwang und Verzweiflung – sind integrale Bestandteile eines Kulturschocks, den wir jedes Mal erleben, wenn wir in eine andere Kultur eintauchen.
Wie bekommt man denn dieses...Sitzfleisch, fragte Eddy. Ich schätze mal, man kann es nicht so einfach trainieren, oder? Ein Tag im Fitnessstudio wird wohl kaum ausreichen…
Die gute Nachricht ist: Man kann es durchaus trainieren!
Der erste Schritt besteht darin, sich bewusst zu werden, dass man es braucht. Das heißt, du musst ein gewisses Bewusstsein für deine eigenen Emotionen und deren entscheidende Bedeutung für den Spracherwerbsprozess entwickeln. Es mag trivial klingen, aber vielleicht wäre es eine gute Idee, regelmäßig mit sich selbst das Gespräch zu suchen. Wir haben Emotionen schließlich nicht, um uns das Leben zu erschweren, sondern um mit uns selbst in Kontakt zu kommen. Genau genommen sind sie die Sprache, mit der unsere tieferen Schichten mit unserem bewussten Selbst kommunizieren.
Achte auf deine psychischen Grundbedürfnisse!
Damit es uns Menschen gut geht und wir unsere Potentiale voll entfalten können, müssen unsere psychischen Grundbedürfnisse befriedigt werden. In der Psychologie herrscht Uneinigkeit, wie viele es genau gibt und welche die wichtigsten sind. Für den Zweck des Sprachenlernens empfehle ich jedoch, sich auf die folgenden fünf zu konzentrieren:
Bindung und Bezogensein
Autonomie und Kontrolle
Orientierung und Sinn
Kompetenz und Selbstwerterhöhung
Lustgewinn und Unlustvermeidung
Dieses komplexe Thema habe ich an anderer Stelle ausführlich behandelt. Ich empfehle dir, meinen Essay "Konsistenz ist der Schlüssel – Psychische Grundbedürfnisse im Sprachlernprozess" (Link) zu lesen. Dieser enthält eine Checkliste mit Fragen, über die du regelmäßig nachdenken solltest, um deinen Lernprozess bewusster zu gestalten. Die Liste habe ich speziell für Erwachsene erstellt, die eine Fremdsprache lernen, während sie im Ausland leben.
Um es kurz zu machen: die Befriedigung deiner psychischen Grundbedürfnisse ist der effektivste Weg, um emotionales Sitzfleisch aufzubauen. Dabei geht es um fünf Schlüsselaspekte:
Vermeidung von Erfahrungen, die zu unangenehmen Emotionen führen
Einordnung und Umdeutung von unangenehmen Erfahrungen, nachdem sie passiert sind
Erkennen und aktives Fördern von positiven Erfahrungen und Emotionen
Anstreben eines gesunden Verhältnisses von positiven und negativen Emotionen
Schaffung der Voraussetzungen für komplexe positive Erfahrungen und Emotionen in der Zukunft.
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die ersten beiden Punkte, d. h. auf die Vermeidung und Umdeutung unangenehmer Erfahrungen.
Das Kommunikationsquadrat
Dafür schauen wir uns das Problem mit der Kaffeebestellung etwas genauer an. Wenn du auf Deutsch bestellst und der Barista auf Englisch antwortet, ist das an sich schon ein kommunikativer Akt, ganz abgesehen vom Inhalt des Gesagten ("Mit Hafermilch? Was ist mit Zucker?"). Und wie jede Nachricht hat sie – gemäß dem Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun – vier verschiedene Ebenen.
Die offensichtlichste ist die Sachebene. Hier geht es um den Inhalt der Nachricht. Die zweite Ebene enthält Informationen darüber, wie der Sprecher die Beziehung zu seinem Zuhörer wahrnimmt. Dann gibt es natürlich ein gewisses Maß an Selbstkundgabe, entweder absichtlich oder unabsichtlich. Die Appellebene schließlich drückt aus, was der Sprecher möchte, dass der Hörer als Reaktion auf die Äußerung tut, denkt oder fühlt.
Ebenfalls von Bedeutung ist, ob wir die Antwort des Baristas als affirmativ oder konfrontativ einschätzen. Im Grunde gibt es also 8 verschiedene Möglichkeiten, den plöztlichen Sprachwechsel zu verstehen:
Natürlich können wir nie absolut sicher sein, was die wahren Absichten des Sprechers sind. Wir fügen eine Reihe von Hinweisen – Kontext, Tonfall, Körpersprache – zusammen und kommen so zu einer Interpretation, die sich für uns richtig anfühlt. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass sie wahr ist. Unsere Interpretationen sind von Annahmen und Projektionen geprägt und werden in hohem Maße von unseren eigenen Vorurteilen und früheren Erfahrungen beeinflusst.
Dieses Modell macht anschaulich, wie Missverständnissen funktionieren: Sender und Empfänger konzentrieren sich schlicht auf unterschiedliche Aspekte der Nachricht. Vielleicht erkennst du beim Betrachten des obigen Diagramms, dass zwischen dem Selbstverständnis des Baristas und dazu, wie du ihn in einer vergleichbaren Situation vielleicht wahrnehmen würdest, eine erhebliche Differenz besteht.
Clash zweier Mindsets
Du solltest dir darüber im Klaren sein, die Einstellung, mit der du in diese Art von Gesprächen gehst, einen sehr starken Einfluss darauf hat, wie du sie erleben wirst. Es gibt grundsätzlich zwei Filter.
Der erste ist das Kommunikationsmindset, das sich auf die Vermittlung der Nachricht konzentriert. Natürlich wollen Baristas – und so ziemlich jeder andere, den du außerhalb eines Fremdsprachenkurses triffst – einfach und effizient kommunizieren. Ihre Priorität ist es, deine Bestellung korrekt hinzubekommen – nicht dein Deutsch.
Du aber gehst wahrscheinlich mit einem anderen Filter in diese Interaktion. Diesen könnte man am besten als ambivalentes Übungsmindset beschreiben. Natürlich willst du dich verständlich machen. Schließlich bestellt man in Deutschland Kaffee auf Deutsch. Aber gleichzeitig - wenn du jemals mit einem schalen Geschmack im Mund aus einem Café gekommen bist – konzentrierst du dich auch auf die Form der Nachricht. Mit anderen Worten: du siehst diese Art von Situation entweder als Chance, dein Deutsch zu üben, oder zumindest als heimlichen Lackmustest für deine Sprachkenntnisse.
Kleiner Gewinn – hohes Risiko!
Dies ist jedoch eine riskante Herangehensweise. Es stimmt zwar, dass du dich als Fremdsprachenlerner in solchen Alltagssituationen erfolgreich behaupten musst, um dein Selbstwertgefühl zu stärken. Dabei gilt es aber auch andere Aspekte zu berücksichtigen.
Zunächst einmal ist die Chance, in einem Café in Deutschland wirklich Deutsch zu üben, minimal. Smalltalk an der Theke ist nicht die Stärke der Deutschen, also erwarte nicht, dass die Unterhaltung sehr viel länger als drei Sätze geht.
Dieser kleinen Chance zu üben steht zudem ein gewisses Risiko gegenüber. Es besteht nämlich ein erhebliches Frustrationspotenzial, wenn du nicht genau verstehst, was du tust und worauf du dich einlässt. Wenn du nämlich alltägliche Kommunikationssituationen als Gelegenheiten zum Üben und zur Stärkung des Selbstbewusstseins missverstehst, kann dies den gefährlichen Nebeneffekt haben, dass du ständig zu negativen Urteilen über deine Fremdsprachenkenntnisse eingeladen wirst. Denn das ist es, was ein so plötzlicher Sprachwechsel letztendlich ist.
Eher extrovertierte und resiliente Lernende werden kein Problem damit haben, sich mehrmals am Tag eine blutige Nase zu holen. Andere hingegen – eher introvertierte und sensible – werden viel stärker unter den daraus resultierenden Gefühlen von Inkompetenz und Zurückweisung leiden.
Und leider wiegen negative Emotionen viel schwerer und wirken sich viel nachhaltiger auf unseren Lernprozess aus als vergleichbare positive Emotionen.
Der Teufelskreis des Sprachwechsels
Es ist schwer, das zuzugeben, sagte Eddy. Aber ich glaube, ich komme mir in diesen Momenten wirklich vor wie ein Idiot. Als wäre die ganze Mühe, die ich mir mit dem Deutschlernen gemacht habe, umsonst gewesen. Das ist wahnsinnig frustrierend! Und ich glaube, du hast Recht: das Gefühl der Zurückweisung ist wahrscheinlich die Ursache dafür, dass ich mich so ärgere – und zwar jedes Mal ein bisschen mehr.
Tja, das ist dein Sitzfleisch, das langsam verschwindet.
Trifft Folgendes auf dich zu?
Du ärgerst dich leicht über Menschen, die sich "weigern", mit dir in der Sprache zu sprechen, die du üben möchtest?
Du fühlst dich oft unfähig und zurückgewissen, weil sich solche Situationen wiederholen?
Du vermeidest es im Alltag manchmal mit Menschen zu sprechen, um diese unangenehmen Gefühle nicht zu haben?
Dann steckst du möglicherweise im Teufelskreis des Sprachwechsels fest.
Teufelskreise kommen in verschiedenen Formen und Ausprägungen. Wir können ganz allein darin gefangen sein, mit einer bestimmten anderen Person, oder – wie in unserem Fall – mit wechselnden Gesprächspartnern in ähnlichen Situationen. Was diese Teufelskreise jedoch alle gemeinsam haben, ist, dass es sich um sich verstärkende Kreisläufe handeln, in denen eine Handlung eine andere Handlung auslöst, die wiederum die erste verschlimmert – und so weiter.
Warte, unterbrach mich Eddy, willst du damit sagen, dass ich bei dieser Geschichte eine Mitverantwortung trage?
Ja, das tust du!
Und in unserem konkreten Fall funktioniert das so: die Gefühle von Inkompetenz und Zurückweisung, die durch frühere Erfahrungen ausgelöst wurden, können unbewusst zu einem eher vermeidenden oder ambivalenten Verhalten führen. Unsere wahrnehmbare Unsicherheit erhöht dann – in Verbindung mit einem hörbaren Akzent – die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesprächspartner ungefragt die Sprache wechselt. Dieses Ergebnis ist nicht nur das, was wir unbedingt vermeiden wollten, sondern wird auch noch mehr der unangenehmen Gefühle hervorrufen, die den Kreislauf ursprünglich in Gang gesetzt haben.
Du startest das Karussell – jedes Mal aufs Neue
Das Paradoxe daran ist, dass wir unser eigenes Verhalten kaum als Ursache für das Verhalten des Baristas ansehen. Aber andererseits: auf was könnte er sonst reagieren? Hat er nicht gerade noch auf eine ausgesprochen nette Art und Weise auf diesen ungeduldigen Deutschen vor dir auf Deutsch reagiert? Und jetzt wird er plötzlich zu einem streitlustigen Idioten, der nichts anderes will, als dir den Tag zu vermiesen?
Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass...
Moment mal, sagte Eddy und lachte. Willst du mir weismachen, dass nicht alle Kellner und Nachbarn, die mir auf Englisch antworten, unverbesserliche Fremdenhasser sind?
Es gibt keine Verschwörung gegen dich
Natürlich können wir selbst mit Hilfe des Kommunikationsquadrats nie mit letzter Sicherheit wissen, was in den Herzen und Köpfen der Menschen vor sich geht. Aber bevor wir annehmen, dass hinter jeder Theke ein potenzieller Nazi steht, sollten wir die Situation einen Moment lang aus seiner Sicht betrachten.
Du bestellst deinen Kaffee mit einem Akzent. Und während du sprichst, bemerkt der Barista etwas Komisches. Was du sagst und wie du es sagst, erscheinen ihm seltsam. Dabei spielt es keine Rolle, ob dein Unbehagen auf Nervosität, Ungeduld oder sogar latenter Aggression beruht. Unbewusst wird er es darauf zurückführen, dass es dir unangenehm ist, eine fremde Sprache zu sprechen, und dass du Angst hast, seine Antwort nicht zu verstehen. Letzteres möchte er dir und sich selbst ersparen.
Wenn er also mit einem Kommunikationsmindset und einem durchschnittlichen Maß an Empathie an diese Situation herangeht, wird er deine vermeintliche Misere beenden wollen – und antwortet also auf Englisch. Das ist keine bewusste Entscheidung. Es fühlt sich einfach richtig an. Vor allem, weil er es dann vermeiden kann, darüber nachzudenken, was du verstehen könntest oder nicht.
Er weiß also nicht wirklich, was er tut, sagt Eddy.
Das stimmt. Aber weißt du es denn?
Vielleicht hast ja auch du eine geheime Agenda. Sehr oft sind unsere Verhaltensweisen so gestaltet, dass sie grundlegende und nicht selten einschränkende Glaubenssätze über uns selbst und die Welt um uns bestätigen.
Nehmen wir zum Beispiel an, dass Du tief im Inneren glaubst, dass dein Deutsch eigentlich ziemlich schlecht ist. Aber da gibt es all diese Leute, die versuchen, nett zu dir zu sein und dich vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Du weißt natürlich, dass sie lügen. Vielleicht ist es dann ein auf seltsame Weise gutes Gefühl, wenn jemand dich und deinen Bluff durchschaut. Endlich bekommst du die negative Bestätigung, nach der du dich insgeheim sehnst: nämlich, dass dein Deutsch nicht einmal gut genug ist, um einen Kaffee zu bestellen.
Deine Glaubenssätze – deine Verantwortung
Diese sich selbst erfüllenden Prophezeiungen beschränken sich aber nicht nur auf das, was du über dich selbst glaubst. Nehmen wir mal an, du hast im Laufe der Zeit viele unerfreuliche Interaktionen gehabt und bist deshalb zu der Überzeugung gelangt, dass viele Deutsche dir einfach nicht helfen wollen, ihre Sprache zu lernen. Jede weitere entsprechend verlaufende Situation wird dich dann nur darin bestätigen, was du bereits zu wissen glaubst. Vielleicht wirst du deshalb nie Deutsch lernen. Aber du kannst dich damit trösten, die Welt durchschaut zu haben und sicher zu wissen, dass nicht du das Problem warst, sondern die anderen.
Möglicherweise hast auch du während deiner Zeit in Deutschland solche einschränkenden Glaubenssätze entwickelt. Und hoffentlich kannst du jetzt erkennen, wie du durch allein durch Projektionen und Annahmen Abwärtsspiralen in Gang setzen kannst, die kaum zu stoppen oder umzukehren sind.
Und seien wir mal ehrlich: das passiert nicht einfach so. Du lässt es geschehen. Du bist ein Teil davon – und zwar zweifellos der wichtigste.
Vielleicht findest du das jetzt überraschend. Aber liegt darin nicht auch ein gewisser Trost? Denn wenn du selbst dafür verantwortlich bist, bedeutet das ja im Umkehrschluss, dass du auch etwas dagegen tun kannst. Und zwar ganz allein. Ohne die Hilfe deiner Nachbarn und Baristas. Du hast – und das mag die nächste Überraschung sein – viel mehr Macht über das, was mit dir geschieht und wie du dich dabei fühlst, als du vielleicht glaubst.
Den Teufelskreis stoppen
Eddy hat dann irgendwann beschlossen, aktiv zu werden und den Teufelskreis, in dem er sich verfangen hatte, zu beenden. Als er herausfand, dass sein eigenes Denken und Verhalten die Ursache dafür war, fühlte er sich nicht mehr als Opfer unheimlicher Kräfte. Er gewann ein Stück Kontrolle über sein Leben zurück und fühlte sich gestärkt.
Und das kannst du auch!
Schritt 1: Erkenne den Teufelskreis als das, was er ist
Der erste und wichtigste Schritt, um einen Teufelskreis zu stoppen, besteht immer darin, zu verstehen, dass man in einem Teufelskreis gefangen ist und wie er genau funktioniert. Vielleicht hast du dich in Eddys Geschichte wiedererkannt und festgestellt, dass du dich in einer ähnlichen Situation befindest. Und vielleicht ist es ja sogar beruhigend zu erfahren, dass du weder der Erste noch der Letzte sein wirst, der sich in dieser Situation wiederfindet.
Schritt 2: Identifiziere die Glaubenssätze, die dich zurückhalten
Klopfe deine eigenen Denkmuster auf Glaubenssätze ab, die dich einschränken oder sogar sabotieren. Eddy war zum Beispiel fest davon überzeugt, dass die Berliner ihm nicht beim Deutschlernen helfen wollten. Das ist genau betrachtet ziemlich unwahrscheinlich. Die Menschen dort haben weitaus dringendere Sorgen, als Ausländer zu entmutigen, die tapfer genug sind, ihre Sprache zu lernen.
Schritt 3: Reflektiere frühere Erfahrungen und dein Beitrag dazu
Mit dem jetzt erworbenen Wissen über Kommunikationspsychologie hast du wertvolle Werkzeuge, um über vergangene Situationen nachzudenken, in denen du dich unwohl gefühlt hast. Eine der Hauptursachen für Missverständnisse, Streitigkeiten und Teufelskreise ist, dass wir Menschen uns nur in der Rolle des Reagierenden sehen. Wir erkennen oft nicht, dass wir fast immer die Handlungen anderer auslösen. Selbstgerechte Wesen, die wir sind, verursachen wir den Ärger nicht – wir reagieren nur darauf. Das ist zwar ein großartiger Trick, um sich im Moment besser zu fühlen, aber dieses Verhalten führt leider dazu, dass wir die gleichen Fehler immer wieder machen.
Schritt 4: Übernimm Verantwortung für das, was dir passiert
Alles ändert sich, wenn du anfängst dich zu fragen: Welchen Anteil habe ich daran, dass die anderen einfach so die Sprache wechseln?
Es gibt viele Dinge, die du tun kannst, um erstens die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass dies geschieht, und zweitens die negativen Auswirkungen auf dich zu minimieren, indem du die Erfahrung anders einordnest und verarbeitest.
Schritt 5: Geh auf die Leute zu und zeig dich offen – statt ambivalent und vermeidend
Genau betrachtet stellen diese alltäglichen Situationen Gelegenheiten dar, Kontakte zu knüpfen und positive menschliche Interaktionen zu erleben. Es sollten keine Momente sein, in denen du dich immer wieder aufs Neue vor Gefühlen der Unfähigkeit und Zurückweisung fürchtest.
Konzentriere dich auf erfolgreiche Kommunikation – völlig unabhängig von der Sprache. Dein Alltag ist kein Stationslauf, in dem du dich fortwährend beweisen musst. Wir lernen Sprachen nicht um ihrer selbst willen, sondern um zu kommunizieren. Und genau das tun die Leute, über die du dich vielleicht beschwerst!
Vergiss nicht: die allermeisten Menschen, denen du im Alltag begegnest, versuchen, nett und hilfsbereit zu sein. Wenn du also den Eindruck erweckst, dass du dich in einer Situation nicht wohl fühlst, reagieren sie oft mit einer Veränderung der Situation. In diesem Fall, indem sie die Sprache wechseln. Sie tun das für dich!
Wenn du diese Hilfe vermeiden willst, musst du ausstrahlen, dass du den Moment wirklich genießt. Deine Körpersprache, dein Gesichtsausdruck und dein Tonfall sollten deutlich zum Ausdruck bringen: Mir geht’s Bombe! Es gibt doch nichts Geileres, als Kaffee auf Deutsch zu bestellen!
Schritt 6: Strahl Selbstbewusstsein aus und zeige, dass du Teil der Sprachgemeinschaft bist
Stell dir vor, du betrittst ein Café wie jemand, der einen absolut fantastischen Tag hat und überzeugt ist, dass sein Deutsch erste Sahne ist. Du kommst mit einem gewinnenden Lächeln zum Tresen und schlägst mit Handfläche drauf – wie ein Cowboy, der in einem Saloon Whiskey bestellt. Du schaust dem Barista in die Augen und sagst ohne zu zögern, aber mit einem spielerischen Grinsen in der Stimme: "Yo, was geht ab? Ich hätte gerne etwas, das mich daran erinnert, warum Aufstehen heute eine gute Idee war. Und zwar...“
Wäre das ein bisschen seltsam? – Wahrscheinlich.
Würdest du dich wie ein Schwindler oder ein Idiot fühlen? – Möglicherweise!
Aber – es sei denn, du siehst tatsächlich aus wie ein Cowboy und rockst einen dicken Akzent wie Brad Pitts "Buongiorrrno" in "Inglorious Ba...ristas" – dann ist es so gut wie sicher, dass die Bedienung hinterm Tresen nicht ins Englische wechseln würde. Die Person würde davon ausgehen, dass dein Deutsch gut – sonst könntest du dich nicht so umgangssprachlich ausdrücken und einen Witz auf Deutsch reißen. Denn das ist, wie du wahrscheinlich weißt, ein ziemlich hartes Geschäft.
Ob das denn immer funktioniert, habe ich Eddy gefragt, als er mir von diesem Trick erzählt hat.
Es hat jedes Mal funktioniert, wenn ich es versucht habe, sagte er. Aber heutzutage bestelle ich einfach mit einem Lächeln und einem offenen Herzen und nehme alles, was auf mich zukommt – egal in welcher Sprache. Denn am Ende des Tages geht es doch nur um den Kaffee, oder?
Da hast du absolut Recht.
Und wie mit dem Kaffee, so ist es mit allem im Leben: man erntet, was man sät.
Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie du typische unangenehme Erfahrungen während des Sprachlernprozesses verstehen und anders einordnen kannst, kannst du hier mehr über andere typische Teufelskreise lesen:
Der Teufelskreis der Korrektur
Der Teufelskreis der Gleichgültigkeit
Der Teufelskreis des schlechten Sprachunterrichts
Der Teufelskreis der Ermahnung